Biologische
Computer nach dem Vorbild der Natur bieten eine interessante
Alternative zu derzeit etablierten Rechnerarchitekturen,
Programmierparadigmen und algorithmischen Konzepten. Mit dem
zunehmenden Verständnis molekularbiologischer Prozesse lässt sich die
Idee, Biopolymere als Datenträger einzusetzen und gezielt zu verändern,
immer besser verwirklichen. Darauf basierende biomolekulare
Rechentechnik in vitro verspricht hohe Speicherkapazität und -dichte,
Miniaturisierung, Biokompatibilität sowie eine massiv datenparallele
Informationsverarbeitung. Die Lehrveranstaltung gibt einen
interdisziplinären Überblick über den gegenwärtigen Kenntnisstand in
Theorie und Praxis und thematisiert auch die dabei zu bewältigenden
Herausforderungen.
Für die erfolgreiche Teilnahme an der
einsemestrigen Veranstaltung (1 SWS Vorlesung, 1 SWS Übung) wird ein
Leistungsnachweis über 3 LP (ECTS credits) vergeben. Voraussetzung ist
neben der regelmäßigen Bearbeitung der Übungsaufgaben ein Vortrag (ca.
20min), der einen Fachartikel zur Thematik aufbereitet und vorstellt.
Inhalte: - Biomolekulare Algorithmen in vitro: In
der Entwicklung experimenteller Implementierungen in vitro liegt das
Potenzial für technische Anwendungen molekularer Computer. Ausgehend
vom Adleman-Experiment zur Lösung des Hamiltonkreisproblems werden
richtungsweisende Konzepte vorgestellt, die das Fachgebiet und seine
Methoden prägen. Hierzu gehören neben den bereits etablierten DNA-Chips
insbesondere Mikroflussreaktoren, Selbstorganisationsprinzipien von
DNA- und RNA-Fragmenten, Whiplash-Techniken, DNA-Splicing,
Hairpin-basierte Verfahren, fehlerkorrigierendes Sequenzdesign und
Vorstufen molekularer Maschinen. Standardverfahren der Gentechnologie
wurden hierfür modifiziert, weiterentwickelt und miteinander kombiniert.
- Modelle und Programmiersprachen für molekulare Computer: Berechnungsmodelle
sind Beschreibungsmittel der theoretischen Informatik, mit deren Hilfe
eine ressourcenabhängige Klassifizierung von Berechnungsstärke und
-aufwand verschiedener Computingkonzepte gelingt. Turingmaschinen
bilden z.B. solche Berechnungsmodelle, die mit einem minimalen
Operationssatz als frei programmierbar gelten. In Bezug auf molekulare
Computer treten u.a. Filteringmodelle, die Sprache DNA-Pascal,
Insertion-Deletion-Systeme, Splicing-Systeme (Mehrtubesysteme),
Watson-Crick-Automaten und P-Systeme an diese Stelle. Im Vorfeld
verfeinernder Simulationen zur Vorbereitung laborpraktischer Arbeiten
ermöglichen diese Berechnungsmodelle die Konstruktion wie auch
Verifikation molekularer Algorithmen im Sinne konzeptioneller Studien.
- Labornahe Simulation molekularer Computer: Simulationen
auf Basis hinreichend genauer Modelle dienen zur Analyse komplexer
Systeme. Sie liefern Prognosen über das erwartete Systemverhalten,
gestatten kostengünstige Untersuchungen von Was-wäre-wenn-Szenarien und
zeigen Ansatzpunkte für mögliche Systemoptimierungen. Reaktionssysteme,
Kollisionsmodelle und thermodynamische Ansätze zieht man hauptsächlich
zur Simulation der Arbeitsweise molekularer Computer heran. Ausgewählte
Simulationsmethoden für funktionelle Bausteine molekularer Computer
werden auf der Abstraktionsebene der Sekundärstruktur zugrunde
liegender Biomoleküle vorgestellt und demonstriert. Daraus
resultierende probabilistische wie auch deterministische
Prozesssimulationen geben Auskunft über Effizienz und Genauigkeit
molekularer Algorithmen, indem sie Seiteneffekteinflüsse identifizieren
und quantifizieren.
Qualifikationsziele: Die Studierenden
sollen einen Einblick in unkonventionelle Computingkonzepte erhalten
und für die damit verbundenen Chancen wie auch Herausforderungen
sensibilisiert werden. Die Philosophie und Programmierung molekularer
Computer vermittelt eine Reihe von Denkanstößen jenseits der
verbreiteten Programmierparadigmen und öffnet den Blick für
vielschichtige Anwendungen an der Schnittstelle zwischen Informatik und
den Wissenschaften des Lebens.
Literatur: - Ausgewählte Fachartikel - M. Amos. Theoretical and Experimental DNA Computation. Springer, 2005 - C. Calude, G. Paun. Computing with Cells and Atoms. Taylor & Francis, 2001 - L.N. de Castro. Fundamentals of Natural Computing: Basic Concepts, Algorithms, and Applications. Taylor and Francis, 2006 - M. Gheorghe. Molecular Computational Models: Unconventional Approaches. IGI Global, 2005 - T. Hinze, M. Sturm. Rechnen mit DNA - Eine Einführung in Theorie und Praxis. Oldenbourg, 2004 - Z. Ignatova, I. Martinez-Perez, K.H. Zimmermann. DNA Computing Models. Springer, 2008 - N. Jonoska, G. Paun, G. Rozenberg (Eds.). Aspects of Molecular Computing. Springer, 2004 -
N. Krasnogor, S. Gustafson, D.A. Pelta, J.L. Verdegay (Eds.). Systems
Self-Assembly: Multidisciplinary Snapshots. Elsevier, 2008 - G. Paun. Computing with Bio-Molecules: Theory and Experiments. Springer, 1998 - G. Paun, G. Rozenberg, A. Salomaa. DNA Computing. Springer, 1998 - T. Sienko, A. Adamatzky, N. Rambidi, M. Conrad. Molecular Computing. MIT Press, 2003
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